An Henriette von Willich, als ich ihr den Thomas a Kempis »Von der Nachahmung Christi« überreichte
Viel ist gered't, gelesen und geschrieben,
Seit dieses Büchlein in die Welt gegangen,
Das Mal und Siegel von dem Geist empfangen,
Der Liebe sandte, daß sie lehrte lieben.
Wie vieles ist gewesen und vergangen,
Dies Büchlein hat vier Säkeln überdauert,
Und in dem Lande, wo's den Seelen schauert,
Lehrt's heute noch das ew'ge Heil erlangen.
Geliebtes Kind, kannst du einfältig fragen,
Einfältig wirst du darin Antwort finden:
Wie Liebe alles lösen kann und binden,
Weiß einzig sie das Höchste auszusagen.
Aus:
Gedichte von E.M. Arndt. Der neuen Ausgabe zweite, vermehrte Auflage. Leipzig 1843, S. 458.
(Henriette von Willich war die Frau des Philosophen Friedrich Schleiermacher, mit dessen Schwester Anna Maria wiederum der Schriftsteller, Freiheitskämpfer, Geschichtsprofessor und Abgeordnete
der Frankfurter Nationalversammlung Arndt in zweiter Ehe verheiratet war).
Ein romantisches Gedicht auf das Buch 'De Imitatione Christi', veröffentlicht vom Dichter "Rostorf" im Jahre 1807
Thomas a Kempis, de Im. Chr.
O Büchlein, du, so wundersüß,
Von wunderhoher Güte,
Bist aus des himmels Paradies;
Einer ew'gen Blume Blüte;
Du bist aus unsers Herren Schrein,
ein hellfunkelnder, kostbarer Edelstein.
Auf steigst du wie ein mächt'ger Baum,
Mit klaren, güldnen Zweigen,
Umzogen mit einer Glorie Saum,
Stehst du als ein ewiges Zeichen;
Dein Wort ein göttlicher Liebespfeil,
Ist bedrängten Seelen ein Trost und Heil.
Du bist eine Flamme hoch und hell,
Von himmlischer Liebe entzündet,
Du brennst als eines ew'gen Feuers Quell,
Deß' Tiefe Niemand ergründet;
Du schmilzest mit deiner Gluten Schein
Die Herzen, wie fließend Metall, so rein.
Du bist das Bächlein Silberflut,
Entsprungen in blauen Reichen;
Dein Wasser ist so süß und gut,
Ein Labetrunk ohne Gleichen;
Wer diesen genießt mit gier'gem Mund,
Den dürstet nimmer, er wird gesund.
Du bist der Thau, der bald erquikt,
Die müden und kranken Herzen,
Durch dich werden hinweggerückt
Die Leibes- und Seelenschmerzen;
Wer sich fühlt matt, arm, elend, krank,
geneset von diesem erquikkenden Trank.
Du hälst die ächte Signatur
In deinem Schoße verborgen,
So man findet die sichre Spur
Zu dem ewigen, lichten Morgen!
Du zeigst uns strahlend für und für
Des ew’gen Lebens güldne Thür.
Du bist der ächte wahre Magnet,
Die Nadel vom göttlichen Stahle,
Deine Richtung nach dem himmlischen Norden steht
Zu dem ewigen Friedensmahle!
Ist unser Schifflein in Gefahr
Zeigst du nach Golgatha immerdar!
Aus:
Dichter-Garten. Erster Gang: Violen. Hrsg. von Rostorf. Würzburg 1807, S. 107-109.
(Rostorf ist das Pseudonym für Karl von Hardenberg [1776-1813], jüngerer Bruder von Friedrich von Hardenberg = Novalis).